Akzeptanz + Loslassen = Gelassenheit
Der alte Mann und sein Pferd
In einem Dorf lebte vor langer Zeit ein alter Mann. Er war sehr arm. Dennoch waren selbst die mächtigsten und reichsten Leute des Landes neidisch auf ihn. Er besaß nämlich ein wunderschönes, weißes Pferd. Man bot dem armen alten Mann gigantische Summen Geld für das Pferd. Der Mann aber sagte: „Dieses Pferd ist für mich nicht einfach nur ein Pferd, sondern es ist ein Freund für mich. Wie könnte ich meinen Freund verkaufen?“ Obwohl er es wegen seiner Armut manchmal schwer hatte und dieses Geld ihm ein ruhiges und abgesichertes Leben ermöglicht hätte, verkaufte er sein Pferd nie.
Eines Morgens aber war das Pferd verschwunden. Er fand es nicht in seinem Stall und auch die lange Suche in der Gegend blieb erfolglos. Die Leute des Dorfes versammelten sich bei dem Alten und tadelten ihn: „Du dummer alter Mann. Warum hast du bloß das Pferd nicht verkauft? Es war doch klar, dass so ein prächtiges Pferd eines Tages gestohlen wird. Jetzt hast du kein Geld und auch kein Pferd. Welch ein Unglück!“
Doch der Alte blieb ganz ruhig. Er erwiderte: „Glück oder Pech –Wer weiß das schon? Urteilt nicht so schnell. Wer weiß schon, was noch passieren wird.
Die Leute lachten den alten Mann aus. Jetzt waren sie sicher, dass er ein wenig verrückt sei. Aber fünfzehn Tage später hörte man plötzlich ein brausendes Hufgetrappel in dem kleinen Dorf. Das Pferd war gar nicht gestohlen worden. Es war nur ausgebrochen und hatte sich auf die Suche nach einer Herde begeben. Jetzt kam es gefolgt von 12 wunderschönen weißen Wildpferden daher getrabt und führte die Pferde direkt zum Haus des Alten.
Sogleich kamen die Leute des Dorfes wieder herbeigelaufen. Sie bekundeten kleinlaut: „Du hattest Recht! Es war wirklich ein Glück, dass dein Pferd abgehauen ist. Jetzt hast du 12 Pferde!“
„Ihr geht wieder zu weit mit eurem Urteil“, entgegnete der alte Mann gelassen. „Sagt einfach: das Pferd ist zurück. Dies ist nur ein Ereignis in einer endlosen Geschichte. Daraus kann man niemals die ganze Geschichte sehen. Glück oder Pech – wer weiß das schon?“
Dem mochte nun keiner so recht widersprechen. Aber die Leute dachten sich doch, dass der Alte Unrecht habe. 12 herrliche Pferde waren nun sein Eigentum! Das konnte doch nur ein Glück sein.
Der einzige Sohn des Mannes war ein kräftiger und feiner Kerl. Er begann nun die Wildpferde zu trainieren. Natürlich mussten sie sich erstmal an Menschen gewöhnen und noch vieles lernen. Doch sobald er zum ersten Mal versuchte, eines der Pferde zu reiten, stürzte er schrecklich. Der junge Mann brach sich beide Beine.
Wieder rannten sofort die Leute herbei und wieder urteilten sie sofort: „Welch ein Unglück! Du hattest tatsächlich wieder Recht. Dein einziger Sohn wird dir jetzt für lange Zeit nicht mehr helfen und deinen Hof bestellen können – du bist ruiniert!“
Der Alte runzelte ein wenig die Stirn, sprach dann aber geduldig: „Wieder urteilt ihr. Das Leben besteht aus vielen, vielen kleinen Ereignissen, das Ganze kann man daraus niemals beurteilen. Mein Sohn hat sich die Beine gebrochen – Glück oder Pech, das wird sich zeigen.“
Tatsächlich nahm die Geschichte wiederum eine Wendung: Es brach plötzlich ein schrecklicher Krieg aus. Alle jungen Männer wurden gezwungen als Soldaten zu kämpfen. Die Leute jammerten und weinten, denn es war klar, dass der Krieg nicht zu gewinnen war. Die meisten der jungen Männer würden ihr Leben lassen. Nur der Sohn des alten konnte mit seinen gebrochenen Beinen natürlich nicht in den Krieg ziehen.
Die Leute waren ganz aufgeregt und riefen: „Du hattest tatsächlich wieder Recht! Was für ein Glück, dass dein Sohn sich gerade jetzt die Beine gebrochen hat. So kann er zu Hause genesen, während unsere Söhne in diesen schrecklichen und sinnlosen Krieg ziehen müssen.“
Der Alte lächelte milde und erklärte: „Glück oder Pech – Wer weiß das schon? Das Leben ist doch ein ewiger Fluss von Ereignissen. Eine Sache führt immer zu einer anderen. Niemand von euch kann beurteilen, wohin alles führen wird.